Der aggressive Partner

Aggression in der Liebe

Nele ist verliebt. Am letzten Wochenende ist sie mit Freundinnen um die Häuser gezogen und hat Timo kennengelernt. Seit zwei Tagen schickt Timo ihr Nachrichten, um ihr zu sagen, wie schön sie ist und dass er sie wiedersehen möchte. Jedes Mal wenn Nele auf ihr Handy schaut, hält sie die Luft an, damit die Flut positiver Gefühle sie nicht überschwemmt.

Nach drei weiteren Monaten hat Nele sich an den Zustand gewöhnt. Die bunten kleinen Geschöpfe in ihrem Bauch haben das Durcheinanderflattern eingestellt. Einzig die Gänsehaut überkommt sie noch, wenn Timo sie küsst oder streichelt. Ihre Beziehung plätschert dahin, wie ein Bachlauf. Timo ist das beste was ihr je passiert ist. Er hört ihr zu und bewundert sie in den richtigen Augenblicken. Weil er ihr so gut tut verbringt sie jede freie Minute mit ihm. Ihre Freundinnen vermissen sie, freuen sich aber, dass es ihr gut geht.

Für Freitagabend hat Nele Timo eingeladen. Sie möchte ihn ihren Eltern vorstellen. Um acht Uhr dreißig ist sie unruhig, weil sie Timo seit acht Uhr erwartet. Sie schreibt ihm eine Nachricht und wartet. Um neun Uhr antwortet er ihr, dass es bei ihm noch länger dauert. Ein wichtiges Projekt sei bis Morgen zu vollenden. Seine Kollegen seien nicht verlässlich, weswegen sein Chef ihn allein mit dieser Aufgabe betraut habe. Sie möge doch allein zu ihren Eltern fahren, das nächste Mal komme er sicher mit. Nele ist enttäuscht, aber auch ein bisschen stolz, dass Timo bei seinem Vorgesetzten so gut ankommt.

Am nächsten Nachmittag ist Nele mit ihrer besten Freundin verabredet. Sie singt während sie sich zurechtmacht, lächelt ihr Spiegelbild an und sieht Timo hinter sich stehen:

“Ich dachte wir würden heute was zusammen machen.”

“Sicher Timo, gerne heute Abend.”

“Nele geh nicht.”

Sie trifft ihre Freundin in der kleinen Stadtkneipe. Während sie einen Salat mit Frühlingsrollen essen, reden sie darüber, wie glücklich Timo Nele macht. Nele erinnert sich daran, wie sie seine Einwände ignoriert hat und sieht sein enttäuschtes Gesicht. Ihr schlechtes Gewissen breitet sich im Magen aus und drückt auf ihre Stimmung.

Nele kommt heim und will Timo einen Kuss geben, aber der dreht sein Gesicht weg. Ihre Fragen beantwortet er einsilbig. In der Nacht dreht er ihr den Rücken zu und knirscht mit den Zähnen. Die nächsten Tagen sprechen sie nur das nötigste miteinander. Timo geht auf kein Friedensangebot ein, schleicht stattdessen mit hängenden Schultern durch die Wohnung, als hätte Nele ihn geschlagen. Es ist ihre Schuld. So schnell wird sie sich nicht mehr verabreden, ein solches Leid verursacht zu haben, hält sie nicht aus.

Im Laufe der nächsten Monate lernt die ahnungslose Nele, Timo in allen Facetten kennen. Sie kommt später von der Arbeit, weil zu viele Klinikmitarbeiter krank geschrieben sind. Timo unterstellt ihr, dass sie mit einem der Ärzte rummacht. Für Nele ist dieser Vorwurf so unverständlich, dass sie darüber lacht. Was grinst du so blöd, brüllt Timo. Nele ist verwirrt, weil sie nie damit gerechnet hätte, dass er sie anschreit.

Wie ist Timos Verhalten zu verstehen?

Die meisten Frauen, die sich in einer solchen Situation wiederfinden glauben, dass sie selbst Schuld sind, den Partner provoziert haben. Einige Frauen, sind sich sicher, dass es an ihnen liegt, vor allem dann, wenn sie schon einmal Gewalt erlebt haben. Manch einer wird solche Situationen herunterspielen wollen. “Na ja, der Timo liebt sie halt.” “Hat Angst sie zu verlieren.” Und sicher lassen sich alle Verhaltensweisen erklären und kausalen Zusammenhängen zuordnen. In einer solchen Situation allerdings spielt das keine Rolle mehr, denn hier ist jedes Gleichgewicht gestört. Einer übt Macht aus und eine hat Angst. In der Regel sind Männer, Frauen körperlich überlegen. Wenn diese physische Überlegenheit so demonstriert wird, ist das in hohem Maße Angst auslösend. Die Unterlegene fühlt sich ausgeliefert. Niemand kann voraussagen, wie weit sich ein Mensch, der sich nicht im Griff hat, gehen wird. Wer die Kontrolle über sich verliert und eine Schwächere lautstark ankotzt, hat sein Recht verwirkt geachtet zu werden. Es ist nicht Aufgabe der Partnerin, das was Eltern versäumt haben ihren Söhnen beizubringen, auszubaden. 

Wie kannst Du Dich schützen?

Ich war selbst zweimal in meinem Leben in einer Beziehung zu einem gewaltbereiten Partner. Heute würde ich dieses Verhalten sehr ernst nehmen, todernst.

Niemand hat das Recht Dich respektlos zu behandeln. Wenn er es doch tut, sei Dir gewiss, dass seine Aggression nichts mit Dir zu tun hat, sondern einzig mit dem Aggressor selbst. Ein erwachsener, gereifter Mensch bringt seine Bedürfnisse ruhig zum Ausdruck. Er hat es nicht nötig, etwas mit Gewalt einzufordern. Selbst dann nicht, wenn Du anderer Meinung bist. Du bist keine Wunscherfüllerin, sondern ein eigenständiges Individuum, mit eigenen Erfahrungen und Vorstellungen. Das Herunterspielen aggressiven Verhaltens, durch Sprüche wie “Einmal ist kein Mal”, hilft niemandem. 

In einer solchen Situation ist es wichtig, dass Du Dich von diesem Verhalten distanzierst, lass Dich nicht brechen. Sei Dir gewiss, dass Du zu wertvoll bist, um Dich unter Deinem Preis zu verschenken. Glaube nicht daran, dass er sich ändern wird, es sei denn, er nimmt ernsthaft psychologische Hilfe in Anspruch. Erkläre sein Verhalten nicht damit, dass er es nicht anders gelernt hat. Damit hilfst Du weder Dir noch ihm. Jeder trägt die Verantwortung für sein Verhalten. Nicht jeder, der Aggression erlebt hat, wird aggressiv gegen andere. 

Nimm Kontakt zu einer Freundin auf, auch wenn Du Dich lange nicht gemeldet hast. Sprich mit einer Kollegin, mit Deinen Eltern. Wende Dich an die Telefonseelsorge. Such Dir eventuell selbst psychologische Hilfe. Versuche mit der Unterstützung durch andere, aus deinem Umfeld rauszukommen. 

 

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