Posttraumatisches Belastungssyndrom

Marie steht in der Küche und füttert die Hunde. Die beiden irischen Wolfshunde hat sie schon ins Wohnzimmer gelassen und die Türe geschlossen. Jetzt kann der weiße Schäferhund in Ruhe fressen. Die Wolfshunde haben etwas gehört, schlagen an. Maries Herz scheint für einen Moment zu stehen, ihr Kopf spricht:

“Habe ich den Haustürschlüssel stecken lassen? Verschafft sich jemand Zutritt?” Herz poltert, dröhnt in den Ohren. Der Schäferhund rennt in den Flur, bellt. Marie steht da, bleich, atmet schnell, kann sich nicht bewegen, riesige Augen, offener Mund. Sie weiß, dass sie sterben wird, jetzt gleich. 

Ein Kopf erscheint in ihrem Tunnelblick, hämisch grinsende Fratze, dann Schulter, Oberkörper, Beine. Marie schüttelt langsam den Kopf, kann nicht sprechen, keine Hand heben.

Nach weiteren Sekunden erkennt sie ihn. Es ist ihr Mann, er kam eine Stunde früher von der Arbeit und wollte sie überraschen. Das ist ihm gelungen, aber nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte.

Marie flucht innerlich, könnte ihm mit der Faust ins Gesicht schlagen. Wie oft hatte sie ihm eigentlich schon erklärt, dass sie solche Überraschungen hasst. Er versteht es nicht.

Marie leidet seit über vierzig Jahren an PTBS, dem posttraumatischen Belastungssyndrom. Sie kann sich nicht mehr an alles erinnern, was damals passierte. Ihre Mutter sprach davon, dass Maries Vater die Mutter geschlagen und angebrüllt hat. Marie wurde von späteren Freunden der Mutter missbraucht. 

Kleinigkeiten können sie triggern, die gleiche Hilflosigkeit, das gleiche Entsetzen in ihr auslösen, wie sie es als kleines Mädchen erlebt hat. Wenn sie im Alltag überfordert ist, besonders wenn Handwerker sich ankündigen, jeder, der ihr fremd ist, wird sie von Tagträumen überfallen. Ihr Verstand fährt Filme, in denen sie angegriffen wird, oder ihre Hunde und dann wehrt sie sich, dann kann sie sich wehren. Und dann hasst sie sich, weil sie jemandem etwas antun musste. Dieser ganze Tumult in ihrem Kopf lässt Aggressionen aus dem Bauch aufsteigen, die sie vergiften, sich auf ihre Schultern setzen und runterdrücken, wie der Schulranzen damals in der ersten Klasse.

Sie macht diese Erlebnisse mit sich selbst aus, weiß, dass es kaum zu erklären und noch viel schwieriger zu verstehen ist. Sie müsste zu weit ausholen, um es verständlich zu machen, zu weit in ihre Vergangenheit schauen. Und dann? Wer möchte sich freiwillig unangenehm berühren lassen. Wen interessiert, was einem anderen brutales, oder perverses zugestoßen ist?

Ihr ist klar, dass ihre Mitmenschen verstört sind, wenn sie wegen geringsten Anlässen aus der Haut fährt und bei der kleinsten Zurückweisung völlig fertig ist. Für dieses zwischenmenschliche Versagen ihrerseits hasst sie sich und geht noch Tage danach hart mit sich ins Gericht, aber das ändert nichts.

Die PTBS ist ein hirnorganisches Problem

Jedes gewaltsame Ereignis, das einen Menschen in seinen Grundfesten erschüttert, ist ein Trauma. Dazu gehören Erlebnisse während eines Krieges ebenso, wie Vergewaltigung, Missbrauchserfahrungen, Gewalt in der Familie und der gewaltsame Verlust eines geliebten Menschen.  All diesen traumatischen Erfahrungen ist gemein, dass Selbstkontrolle und Selbstregulation verloren gehen. 

Ein Trauma bedeutet auch den Verlust des Selbst. Das Vertrauen in die eigene Person, die Sicherheit, sich selbst helfen zu können, verschwindet. Menschen verachten sich für die eigenen Gefühle, die sie während der Flashbacks (schlagartige Erinnerung an das traumatisierende Ereignis) haben. Missbrauchsbetroffene fragen sich häufig, ob sie Opfer, oder willige Mitwirkende waren.

Bei Betroffenen versagt die Vorstellungskraft für schöne Ereignisse. Die Imagination für eine sonnige Zukunft. Ein, so könnte es sein/werden ist nicht möglich. Wie unter Zwang werden die Betroffenen wieder und wieder in die Vergangenheit gesogen. Bilder, der Ereignisse kommen in Tagträumen hoch oder als quälende Alpträume. 

Es gibt zu dem Thema seit 1960 viele Untersuchungsergebnisse, die eine hirnorganische Veränderung belegen. Versetzt man PTBS Patienten unter dem Hirnscann in Stress, sieht man den limbischen Bereich (unser emotionales Gehirn in der rechten Hemisphäre) aufleuchten. Das Broca-Sprachzentrum (linke Hemisphäre) zeigt eine verringerte Reaktion, woraus das sprachlose Entsetzen resultiert. Gedanken und Gefühle können nicht mehr in Worte gefasst werden. Während das Broca-Sprach-Areal abgeschaltet wird, wird das visuelle Brodmann-Areal stärker aktiviert. Zu sehen sind Aktivierungen, einzig in der rechten Hemisphäre. Die Amygdala/Mandelkern, auch genannt Sitz der Angst initiiert die Stressreaktion, wodurch der Puls, Blutdruck und die Atemfrequenz steigt. Dadurch werden die Nebennieren aktiviert und schütten Stresshormone, Adrenalin, Noradrenalin aus und Cortisol.

Die Mischung aus Stresshormonen und der Hirntätigkeit der rechten Hemisphäre führen zu einem emotionalen Sturm. Die Betroffenen geraten während eines Flashbacks außer sich, sind aufgebracht, entsetzt und erstarrt und danach, wütend und beschämt. 


Die Hormone

Bei PTBS ist Serotonin grundsätzlich vermindert, genau wie bei der Depression. Daher findet man bei Depression viele PTBS Betroffene. Das eine schließt das andere nicht aus. Menschen mit niedrigem Serotoninspiegel reagieren stärker auf Belastungen, wie laute Geräusche. Höhere Serotoninspiegel dämpfen Angst, wodurch Aggression und die Erstarrung sinkt. Die Flucht-oder Kampfbereitschaft steigt. Ein niedriger Serotoninspiegel hingegen, lässt Menschen mehr in der Vergangenheit grübeln. 

Bei PTBS kommt es verblüffender weise häufig zu Traumareinszenierungen, wie bei einem Wiederholungszwang. Menschen suchen sich immer wieder ähnliche Partner, die sie sicher verletzen werden. Eine mögliche Erklärung ist, dass bei Furcht und Schmerz Endorphine ausgeschüttet werden. Es ist möglich, dass der Körper in angsteinflößenden Situationen morphinähnliche Substanzen bildet. Es ist ebenso wahrscheinlich, dass starke Emotionen Schmerzen blockieren können. 

Wenn Du tiefer in das Thema einsteigen möchtest, oder vermutest eine:n Betroffene:n zu kennen und helfen möchtest, findest Du weiterführende Informationen in dem Buch: DAS TRAUMA IN DIR Wie der Körper den Schrecken festhält und wie wir heilen können, von Bessel van der Kolk

Bessel van der Kolk

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