Rezensionen Blutbuch

Blutbuch Kim De L´Horizon

AutorIn: Kim De L´Horizon, Genre: Transgender-Literatur, Biografische Fiktion, LGBT-LiteraturVerlag: Dumont, ISBN: 978-3-8321-8208-3, 334 Seiten, Preis Hardcover € 24,00

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Die Erzählfigur in ›Blutbuch‹ identifiziert sich weder als Mann noch als Frau. Aufgewachsen in einem Schweizer Vorort, lebt sie nun in Zürich, ist den engen Strukturen der Herkunft entkommen und fühlt sich im nonbinären Körper und in der eigenen Sexualität wohl. Doch dann erkrankt die Großmutter an Demenz, und das Ich beginnt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen: Warum sind da nur bruchstückhafte Erinnerungen an die eigene Kindheit? Wieso vermag sich die Großmutter kaum von ihrer früh verstorbenen Schwester abzugrenzen? Und was geschah mit der Großtante, die als junge Frau verschwand? Die Erzählfigur stemmt sich gegen die Schweigekultur der Mütter und forscht nach der nicht tradierten weiblichen Blutslinie.
Dieser Roman ist ein stilistisch und formal einzigartiger Befreiungsakt von den Dingen, die wir ungefragt weitertragen: Geschlechter, Traumata, Klassenzugehörigkeiten. Kim de l’Horizon macht sich auf die Suche nach anderen Arten von Wissen und Überlieferung, Erzählen und Ichwerdung, unterspült dabei die linearen Formen der Familienerzählung und nähert sich einer flüssigen und strömenden Art des Schreibens, die nicht festlegt, sondern öffnet. (Klappentext)

Der mediale Aufschrei zu diesem Buch war riesig, nicht zuletzt, weil der Mensch Kim, sich während seiner Preisverleihung (Deutscher und Schweizer Buchpreis 2022) inszenierte. 

So haben wir die Person, die sich als nonbinär betrachtet, sich weder als Mann, noch als Frau sieht, kennengelernt. Kim schreibt über die eigene Familie, nimmt uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit und stellt uns Mutter und Großmutter vor, Meer und Grossmeer. Die Frauen beschreibt Kim als sprachgewaltig und dominant.  Grossmeer hat riesige Hände und fasst Kim immer etwas ungeschickt und zu fest an. 

Kim zeigt uns die Welt, in der es intensiv und freizügig zugeht. Nimmt uns mit hinter Toilettenhäuschen, wo unbekannte, reizvoll gebaute Männer Kim anal nehmen. Kims Sprache ist ebenso ordinär und obszön, wie die Szenen, die Kim beschreibt. In Kims Welt der nächtlichen Treffen sind Frauen, Kinder und Heterosexuelle unerwünscht, einzig was sich als gut fickbar erweist, ist gern gesehen. Manche Einblicke lesen sich heftig und weil Kim sehr gut schreiben kann, zeigt Kim, statt nur zu erzählen. Zeigt soviel, dass es wehtut und ich mich nicht entziehen kann, schon gar nicht wenn ich die Augen schließe.

In mir weckt Kims fast hysterische Suche nach der eigenen Identität ein Gefühl der Einsamkeit. Nichts scheint wirklich verlässlich, nichts so bedeutungsvoll, dass es bleiben darf. 

Im dritten Teil des Buches sucht Kim die Blutlinie seiner weiblichen Ahnen und versucht allen Familiengeheimnissen auf die Spur zu kommen. 

Das Buch wirkt kaum lektoriert, als habe niemand eingegriffen, Hand angelegt, um mit rotem Stift zu sortieren, korrigieren und ordnen. Und genauso sprunghaft wirkt der Text auch. Seine Art zu schreiben ist gewöhnungsbedürftig und tatsächlich anders, als alles, was es an geschriebenem auf dem Markt gibt.

Ich glaube alles was Kim schreibt, es ist authentisch, ehrlich und mutig. Was für ein Schritt in die Öffentlichkeit, in eine, die Kim die Offenheit um die Ohren pfeffern möchte. Dieser intolerante Teil, der keine Ahnung vom Schmerz der Ausgrenzung, des Nichtdazugehörens hat und sich dennoch für urteilsfähig hält …vermessen. 

Fazit: Wer sich mit dem Leben und Fühlen nonbinärer, oder auch homosexueller Menschen beschäftigen möchte, hält hiermit die richtige Lektüre in der Hand. Sehr empfindsamen Personen, die eine große Vorstellungskraft haben, möchte ich von dem Buch abraten. 

Kim De L´Horizon gewann für sein Blutbuch 2022 den Deutschen und den Schweizer Buchpreis.

4/5

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