Die Scham von Annie Ernaux

Autorin: Annie Ernaux, Genre: Autobiografische Erzählung, Verlag: Suhrkamp, ISBN: 978-3-518-47180-7, 1. Auflage 2021, 111 Seiten, Preis Taschenbuch €11,00
Aus dem Französischen von Sonja Finck
Juni 1952, die kleine Annie ist 12 Jahre alt. Eines Sonntagnachmittags geschieht etwas Entsetzliches – ohnmächtig muss sie miterleben, wie der Vater die Mutter umzubringen versucht. Nach kurzer Zeit beruhigt sich der Vater, und Annie versucht, den Eklat zu vergessen. Bis sie, nahezu ein halbes Jahrhundert später, auf ein altes Foto stößt, das eine Flut von Erinnerungen auslöst. Aber was genau ist damals geschehen? Und wie ist es dazu gekommen?
Je tiefer Annie in dieses entscheidende Jahr eintaucht, umso deutlicher wird ihr die Spannung, in der die Eltern lebten, zwischen dem Wunsch nach sozialem Aufstieg und dem demütigenden Rückfall in die alten Verhältnisse. Und auch Annies Zerrissenheit gewinnt an Kontur, ihr immer wieder schmerzhaftes Bemühen, dem Einfluss einer religiösen Erziehung zu entrinnen und der bohrenden Sehnsucht nach Aufbruch und einem besseren Leben zu folgen.
Scham ist das beharrliche Gefühl der eigenen Unwürdigkeit. Annie Ernaux seziert es an sich selbst, indem sie weit zurückschwingt in eine eigentlich unfassbare Episode ihrer Kindheit und in eine Vergangenheit, die nicht vergehen will. (Klappentext)
Annie Ernaux erinnert sich an einen Sonntag im Juni. Ihre Eltern hatten ein kleines Lebensmittelgeschäft und eine Kneipe in der Normandie. An diesem Sonntag kam sie aus der Kirche und zog sich um. Während des Mittagessens macht ihre Mutter ihrem Vater Vorwürfe. Es scheint wegen des Geschäfts zu sein. Der Vater sieht aus dem Fenster und sagt nichts, bis er anfängt zu zittern, aufspringt und mit fremder Stimme spricht. Annie erschrickt, rennt raus, aus dem Blickfeld ihres Vaters. Bis ihre Mutter “Tochter” schreit. Da schreit Annie selbst um Hilfe. Als sie in die Speisekammer kommt, sieht sie, wie ihr Vater ihre Mutter mit einem Beil bedroht. Als sich alle wieder beruhigt haben machen sie zusammen eine Radtour. Über die Situation wird nie wieder gesprochen, so als wäre sie nicht passiert. Doch in Annie hat sich etwas verändert.
Später, wenn sie sehr verliebt in einen Mann ist, erzählt sie beiläufig, wie ihr Vater versucht hatte ihre Mutter umzubringen und merkt, wie schockierend das für den anderen ist.
Im Laufe dieses Buches versucht die Autorin dieses Ereignis zu reflektieren, herauszufinden wie bedeutungsvoll es war und was es mit ihr gemacht hat. Sie entsinnt sich ihrer Herkunft und eines gebeutelten Nachkriegsfrankreichs, ihrer gläubigen Erziehung und der Pläne ihrer Eltern, sich durch Laden und Kneipe ein Einkommen zu verschaffen, das sie besser dastehen lässt, als viele ihrer Nachbarn.
Fazit: Fast traue ich mich nicht es zu sagen, so als stünde mir Kritik an einer Schriftstellerin, die sicher auch zurecht 2022 den Literaturpreis gewonnen hat, nicht zu. Die Grand Dame der Autobiografie berührt mich nicht. Schafft es nicht, mich zu erreichen. Keine Bewegung des Herzens, oder des Magens. Stille in mir. Ihre nüchterne unaufgeregte Erzählweise, lässt mich außen vor. Die “unfassbare Episode ihrer Kindheit”, die im Klappentext angesprochen wird hat mich einfach nicht aus der Bahn werfen können.
Die Autorin: Annie Ernaux, geboren 1940, bezeichnet sich als »Ethnologin ihrer selbst«. Sie ist eine der bedeutendsten französischsprachigen Schriftstellerinnen unserer Zeit, ihre zwanzig Romane sind von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeiert worden. Annie Ernaux hat für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zuletzt den Nobelpreis für Literatur.