Der Trost der Schönheit von Gabriele Von Arnim

Autorin: Gabriele Von Arnim, Genre: autobiografisches Schreiben, Erinnerungen, Verlag: Rowohlt, ISBN: 978-3-498-00351-7, 1. Auflage 2023, 213 Seiten, Preis Hardcover €22,00
Trost finden. In einer Welt, die so überwältigend, ängstigend, fordernd sein kann. Trost finden im Empfinden von Schönheit, weil das, so Gabriele von Arnim, nicht weniger ist als Selbsterhalt. «Ich brauche Schönheit. Den Trost der Schönheit. Denn wenn ich Schönheit sehe, höre, lese, spüre, dann glaube ich an Möglichkeiten. An Wege, Räume, Purzelbäume.»
Der Trost der Schönheit ist eine schillernde Verbindung aus autobiografischem und essayistischem Erzählen: keine Kulturgeschichte, die ihren Gegenstand mit Theorie einhegen will, sondern eine literarische Spurensuche. Gabriele von Arnim fragt nach den Formen und Wirkungen dessen, was wir schön nennen; nach dem Glück und den dunklen Seiten der Empfindsamkeit. Die Suche führt zurück in die Kindheit, zu einem Mädchen aus kühl geführtem Haus, das erst lernen muss, zu fühlen, um Schönheit – einen tröstlichen Moment lang – in all ihrer endlichen Fülle wahrnehmen zu können.
Nach dem Spiegel-Bestseller Das Leben ist ein vorübergehender Zustand ein neuer bewegender Bericht aus dem Innern. Ein Buch, das den Blick weitet für die Welt um uns und ihre Vergänglichkeit, das Mut macht zum Aushalten von Ambivalenz. (Klappentext)
Gabriele von Arnim hat sich auf die Suche gemacht. In ihrem neuen Buch fragt sie nach dem Sinn. Wie schaffen wir es, dem unberechenbarer werdenden Weltenlauf zu begegnen, ohne in die Knie zu gehen? Wie begegnen wir den täglichen Schreckensszenarien, die sich ungefiltert ihren Weg bahnen, hinein in unsere Dünnhäutigkeit?
Sie schlägt vor Schönheit zu kultivieren. Uns mit Dingen zu umgeben, die eine besondere Bedeutung für uns haben. Eine Postkarte, die unser Herz erwärmt hat. Dieser knallige Schal, der in lila und orange um die Wette leuchtet. Ein kleines Blumenarrangement, das uns berührt. Der Himmel, der nur im Herbst in diesem azur leuchtet und diesen einzigartigen Kontrast zum müder werdenden Laub schafft. Uns mit kleinen Alltagsinseln aus Schönheit zu umgeben, die die Aussicht auf Vergänglichkeit und Zerfall ein wenig leichter machen.
Sie spricht von ihrer Kindheit, dem väterlichen Patriarch und der mütterlichen schönen Angepasstheit. Die beiden ersten Menschen in ihrem Leben, die ihr keine Nähe schenken konnten. Er, weil Indianer nun mal keinen Schmerz kennen, sie, weil sie selbst zu bedürftig war.
“Bloß nichts fühlen.”
…und die zu werden, die ich seit langem werden will: eine heitere Alte, die dem Kindheitsgebot des “Bloß nichts fühlen” ein gänzlich pathosfreies “Hach” entgegenschleudert und die Gelassenheit ins Jetzt einlädt. S. 39
Mein Leben war ein kleiner Raum, den andere möblierten. Mit ihren Gedanken und Vorstellungen. S. 68
Auf Seite 108 gibt mir die Autorin einen wundervollen Einblick in ihr Zuhause, mit allem was ihr wichtig ist. Die kleinen Dinge, die sie von ihren Reisen mitgebracht, oder geschenkt bekommen hat.
Schon auf Seite 26 erwischt Gabriele von Arnim mich, macht mein Mitgefühl mit ihr so groß, dass ich vorbehaltlos weine. Zehn Seiten später knurrt mir wohlig der Magen, weil sie, in eine perfekt in Knoblauch gebratene Garnele, mit wenigen Tropfen Zitrone sanft beträufelt beißt, und dabei glücklich ächzt. Auch gutes Essen ist für sie unbedingt ein Ausdruck von Schönheit.
Auf Seite 42 spüre ich Gänsehaut weil
das Kind ein giftspuckender Tintenfisch werden will, der die Hand der Mutter abwehrt. Weil jede Liebkosung der Mutter sich anfühlt, wie ein Angriff. Weil die Mutter nicht zärtlich liebt, sondern Zärtlichkeit begehrt, weil sie nicht geben kann, was sie selbst nie bekam. Weil sie verzweifelt braucht.
Und dann trifft sie mich auf Seite 127 wieder mitten ins Herz, als das Tochterfamilientreffen wegen Corona ausfällt, und Gabriele von alten Ängsten aufgerieben zurücklässt. Die Buchstaben verschwimmen, bis sich ein paar Tränchen lösen und ich kurz tief Luft hole.
Atmen. Einatmen, ausatmen. Atmen
Einige Seiten lang dachte ich an die japanische Art der Keramikreparatur, auf Seite 209 spricht auch sie davon. Gebrochenes Porzellan wird mit Gold gekittet. Daraus entstehen wundervolle, versehrte Einzelstücke, deren Schönheit und Einzigartigkeit eher hervorgehoben werden und ich sehe die Autorin vor mir.
Fazit: Ein wundervolles Buch für alle, die sich nach einem Sinn, in einer Welt fragen, in der so vieles sinnlos erscheint. Ein Buch, das Raum zum Spüren, Begreifen und Staunen lässt. Mich hat es sehr angesprochen, weil ich meine eigenen Parallelen gefunden habe, zu Gabriele von Arnims “So sein”.
Die Autorin: Gabriele von Arnim wurde 1946 in Hamburg geboren. Sie hat studiert, promoviert und zehn Jahre als freie Journalistin in New York gelebt. Danach schrieb sie u.a. für DIE ZEIT und SÜDDEUTSCHE, BR und WDR und arbeitete als Moderatorin für ARTE, SDR/SWR und SF. Sie schreibt Rezensionen für Zeitungen und Hörfunk, moderiert Lesungen, hat mehrere Bücher veröffentlicht und lebt in Berlin.