Rezensionen Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe

Eine vollständige Liste alle Dinge, die ich vergessen habe von Doris Knecht

Autorin: Doris Knecht, Genre: Fiktion, Familiengeschichte, Verlag: Hanser Berlin, ISBN: 978-3-446-27803-5, 1. Auflage 2023, 237 Seiten, Preis Hardcover €24,00

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Nach “Die Nachricht” schreibt Doris Knecht über das Leben einer Frau, die an einem Wendepunkt steht. “Ein Buch, das beglückt, begeistert, beeindruckt.” (Maria-Christina Piwowarski)
Sie ist die Tochter, die stets unsichtbar war neben ihren braven, blonden Schwestern. Sie ist die alleinerziehende Mutter, die sich stets nach mehr Freiheit und Unterstützung sehnte. Sie ist die Überempfindliche, die stets mehr spürte als andere. Sie ist jemand, der Veränderungen hasst. Doch irgendetwas muss geschehen. Denn ihre Kinder sind im Begriff auszuziehen, und sie muss sich verkleinern, ihr altes Leben ausmisten, herausfinden, was davon sie behalten, wer sie in Zukunft sein will.
Wie ist es, wenn das Leben noch einmal neu anfängt? Doris Knechts neuer Roman ist die zutiefst menschliche und intime Selbstbefragung einer Frau, die an einem Wendepunkt steht. Sie versucht, die Wahrheit über sich selbst herauszufinden. Und zugleich weiß sie, dass ihr das niemals gelingen wird. (Klappentext)

Eine Frau mittleren Alters versucht sich an neue Lebensumstände zu gewöhnen. Ihre beiden Kinder sind jetzt alt genug ihr eigenes Leben zu führen und der Auszug, nur eine Frage der Zeit. Die Frau hat Freunde, mag aber auch gerne allein sein. Gedankenreich läßt die Autorin mich an ihrer Innenschau teilnehmen. Sie denkt sich zurück in ihre Kindheit, wo sie mit ihren Eltern und ihren beiden Zwillingsgeschwisterpaaren in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen ist. Sie kam sich in dem Familienverbund nicht nur äußerlich anders vor, sondern fühlte sich als Außenstehende. In einem Gespräch mit der Mutter bagatellisiert diese, die Gefühle ihrer Tochter, anders behandelt worden zu sein. Sie war die älteste und zog als erstes aus, mit 17 Jahren nach Wien, 700 Kilometer weit von den Eltern weg. 

Die Frau lässt ihr Leben revue passieren, ihre ersten Liebhaber, ihre Ehe, die nicht gehalten hat, was sie sich davon versprochen hatte. Sie erzählt ganz eindringlich von der Geburt ihrer Zwillinge, wie sie selbst auf Händen getragen wurde, solange sie in den Wehen lag, wie sie aufgeschnitten wurde, wie ihr die Kinder weggenommen wurden, weil sie Frühchen waren und wieviel sie darüber weinte und wie dann alle von ihr erwarteten, dass sie ihre Kinder stillte und ihr ins Gewissen redeten. 

Ganz vieles Andere hat sie allerdings vergessen und verloren. Als ihre Tochter ihr Briefe ihrer eigenen Mutter vorliest, die ein ganz liebevolles Bild ihrer Beziehung zu ihren Eltern widerspiegeln, so ganz anders, als sie selbst ihre Eltern beschreibt, kommt mir kurz der Gedanke, dass sie dissoziativ sein könnte. Situationen, die sich nicht gut angefühlt haben, verdrängt hat. Ein Abwehrmechanismus, dessen sich viele bedienen. 

Auf Seite 126 führt die Autorin eine Familienchoreografie auf und lässt alle Geschwister auf der Kücheneckbank, ihren angestammten Platz finden, das hat mir gefallen. Zum Schluss, ihre Beschreibung der Winterlandschaft ebenso. Ein paar Spritzer Humor sind eingeflossen und bringen ein wenig emotionalen Schwung in die Szenen.

Fazit: Die Geschichte hat mich nicht mitgenommen. Für mich ist es ein Wohlfühlbuch, das ohne große Gesten, erschütternde Ereignisse, oder interessanter Wendungen, so vor sich dahinplätschert. Trotz einiger Ansätze, die man gerne hätte vertiefen können, blieben auch schwierige Themen an der Oberfläche und zogen an mir vorbei, ohne mich zu berühren. 

Die Autorin: Doris Knecht, geboren in Vorarlberg, ist Kolumnistin (u. a. beim Falter und den Vorarlberger Nachrichten) und Schriftstellerin. Ihr erster Roman, Gruber geht (2011), war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde fürs Kino verfilmt. Zuletzt erschienen Besser (2013), Wald (2015), Alles über Beziehungen (2017), weg (2019), Die Nachricht (2021) und Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe (2023). Die Verfilmung von Wald kommt im Herbst 2023 in die Kinos. Sie erhielt den Literaturpreis der Stiftung Ravensburger und den Buchpreis der Wiener Wirtschaft. Doris Knecht lebt in Wien und im Waldviertel.

 
3.5/5

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