Rezensionen Das Dritte Licht

Das dritte Licht von Claire Keegan

Autorin: Claire Keegan, Genre: Psychologische Fiktion, Verlag: Steidl, ISBN: 978-3-96999-199-2, 7. Auflage 2923, 95 Seiten, Preis Hardcover €20,00

Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser

Bei genialokal kaufen

Irland, zu Beginn der 1980er Jahre: An einem heißen Sommertag liefert ein Vater seine kleine Tochter bei entfernten Verwandten auf einer Farm im tiefsten Wexford ab. Seine Frau ist schon wieder schwanger, noch ein Maul wird zu stopfen sein.
So findet sich das Mädchen bei dem kinderlosen Ehepaar John und Edna Kinsella wieder. An einem ungewohnt schönen und behaglichen Ort, wo es Milch und Rhabarber und Zuwendung im Überfluss gibt. Aber auch ein trauriges Geheimnis, das einen Schatten auf die leuchtend leichten Tage wirft, in denen das Mädchen lernt, was Familie bedeuten kann.
Das dritte Licht (»Foster«) wurde mit dem renommierten Davy Byrnes Award ausgezeichnet und in Irland als The Quiet Girl, ebenfalls preisgekrönt, verfilmt. Nun ist diese meisterhaft komponierte Geschichte über wirkliches Zusammenleben, Zuneigung und Zärtlichkeit endlich wieder in der deutschen Übersetzung von Hans-Christian Oeser bei Steidl erhältlich – in einer neuen, von der Autorin überarbeiteten Fassung. (Klappentext)

Die Autorin schreibt als Ich-Erzählerin im Präsens, aus der Sicht eines Kindes.

Das Mädchen sitzt neben ihrem Vater. Sie haben die Messe verlassen, aber er fährt disesmal nicht nach Hause. Er fährt das Mädchen an die Küste zu entfernten Verwandten der Mutter. Mrs. Kinsella küsst das Mädchen wild ab, nachdem sie angekommen sind, während das Mädchen versucht, die schmutzigen Füße in den Sandalen zu verstecken. 

Die Kinsellas tischen ein herzhaftes Mahl auf und der Vater tut sich gütlich, stärkt sich noch einmal, bevor er sich auf den Heimweg macht und den Koffer des Mädchens wieder mitnimmt, das Mädchen aber dalässt. 

Zwischen den Kinsellas und dem Mädchen geschieht etwas, das das Mädchen nicht kennt, langsam.  

Sie legt den Arm um mich. “Du bist einfach noch zu jung, um das zu verstehen.” Kaum hat sie das gesagt, wird mir klar, dass sie wie alle anderen ist, und ich wünschte, ich wäre wieder zu Hause, damit all die Dinge, die ich nicht verstehe, dieselben sind wie immer. S. 25

Dem Mädchen sind die Kinsellas zuerst nicht geheuer, alles ist anders, Matrazen weinen, Mr. Kinsella nimmt die Hand des Mädchens in seine, ein Geheimnis lauert über diesen Menschen. Und ein Gegeimnis ist arglistig, täuscht, legt sich schwer auf alles, wie eine Wolke aus Staub.

Fazit: Eine großartige Geschichte, von der ich noch viel mehr gelesen hätte, aber dann war sie zu Ende. Ich mag aufrichtig gestehen, dass ich den Schluss nicht verstanden habe, das tut der Qualität der Erzählung jedoch keinen Abbruch. Die Geschichte hat eine Tiefe, die mich aufhorchen ließ. Es geht um Verwahrlosung, Vernachlässigung und Gewalt, ohne, dass das benabbt würde. Und um die Ungerechtigkeit, dass manche so viele Kinder bekommen und nichts mit ihnen anfangen können und anderen, die allzugerne durch die Elternschaft gehen würden, dieses Glück verwehrt bleibt. Dies ist eine Geschichte über Schmerz, den man versucht auszuhalten, an den man sich jedoch nie wird gewöhnen können. Das Buch ist äußerlich auch haptisch ein Erlebnis, schön gestaltet, wie eine Tapete.

Meine absolute Empfehlung!

Die Autorin: Claire Keegan, geboren 1968, wuchs auf einer Farm in der irischen Grafschaft Wicklow auf. Sie hat in New Orleans, Cardiff und Dublin studiert. Bei Steidl sind von der vielfach ausgezeichneten Autorin bereits die Erzählungsbände Wo das Wasser am tiefsten ist und Durch die blauen Felder (in einem Band: Liebe im hohen Gras, 2022) erschienen. Ihre Erzählung Kleine Dinge wie diese (2022) stand auf der Shortlist des Booker Prize.
Hans-Christian Oeser, 1950 in Wiesbaden geboren, lebt in Dublin und Berlin und arbeitet als Literaturübersetzer, Herausgeber und Autor. Er hat u.a. John McGahern, Mark Twain, Ian McEwan, F. Scott Fitzgerald, Anne Enright, Maeve Brennan und Sebastian Barry übersetzt. Für sein Lebenswerk wurde er 2010 mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis ausgezeichnet. 2020 erhielt er den Straelener Übersetzerpreis der Kulturstiftung NRW.

Du magst vielleicht auch

Kommentar verfassen