Rezensionen Kleine Probleme

Kleine Probleme von Nele Pollatschek

Autorin: Nele Pollatschek, Genre: Fiktion, Verlag: Galiani Berlin, ISBN: 978-3-86971-240-6, 1. Auflage 2023, 197 Seiten, Preis Hardcover € 23,00

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Nele Pollatschek erzählt eine alltägliche Geschichte, die mitten ins Herz unserer Existenz trifft. Aus einer To-do-Liste entsteht ein schillernder Roman darüber, wie schwer es ist, einfach nur zu leben. 
31. Dezember. Steuererklärung, Wohnung putzen, Bett für die Tochter zusammenschrauben, Lebenswerk schreiben, mit dem Rauchen aufhören – eigentlich wollte Lars, neunundvierzigjähriger Vieldenker und angehender Schriftsteller, die Lücke zwischen den Jahren dafür nutzen, endlich alles zu erledigen, was in den letzten Dekaden so auf der Strecke geblieben ist. Das neue Jahr, so sein Plan, sollte in einem aufgeräumten Leben beginnen. Der Zeitpunkt dafür schien perfekt: Die Kinder waren im Auslandsjahr, die Frau unterwegs. Keiner da, der stören könnte.
Doch die Woche, in der noch alles zu schaffen gewesen wäre – plötzlich ist sie aufgebraucht. Der letzte Tag des Jahres hat begonnen – mit Nieselregen, wie sonst? Das Haus ist immer noch chaotisch. Das Leben sowieso. Und als Lars den ersten Punkt seiner To-do-Liste ansteuert, fühlt es sich an, als müsse er nicht nur sich selbst, sondern eine ganze Welt neu erfinden.
In ihrem lustigen, tragischen und philosophischen Roman erzählt Nele Pollatschek von Chaos und der Sehnsucht nach Ordnung, von perfekten Kindern und unperfekten Eltern, von Liebe, kleinen Schrauben und großen Werken. Vor allem aber erzählt sie von der Schwierigkeit, sein Leben nicht auf später zu verschieben. (Klappentext)

Lars ist 49 Jahre alt und allein zuhause. Seine Frau Johanna, seine Kinder sind unterwegs um ihr Leben zu leben. Am 31.12. werden sie sich wiedersehen, so der Plan. Die verbleibende Woche will Lars nutzen um Ordnung zu schaffen. All das, was seit Tagen, nein Monaten, ach was Jahren liegengeblieben ist wird Lars Regeln, Ordnen, Gutmachen. 

Mit ganz großer Vorfreude, der Aussicht auf ein neues Dasein, schwingt Lars sich in seinen Kopf empor, um in die Planung zu gehen, denn Listen sind wichtig. Dient das Abhaken der Tagespunkte doch der Motivation, sein Endziel zu erreichen. Und weil Lars weiß, dass seine Frau sich ihn auch disziplinierter wünscht und er sie gerade schmerzlich vermisst, kuschelt er sich noch einmal ganz kurz in ihre Schmusedecke auf dem Sofa zusammen. Als er erwacht ist die Woche rum und der 31.12. Nichts ist erledigt und Lars kurz vor einem Nervenzusammenbruch. 

Jetzt wird er sich anstrengen, alles noch möglich. Er wird seine Frau und seine Kinder nicht schon wieder enttäuschen. Und dann schnallt Lars seinen Werkzeuggürtel um und begibt sich auf einen Roadtrip durch das Haus, um Linas Bett aufzubauen,

Vor mir lagen , in sauberen Grüppchen, glänzend und glimmend, wie frisch gebadet, zweiunddreißig Hoshis und vierundzwanzig Knülpe, vier Schlitzlinge und vier Plötze, gleich vierzig Pleumel, achtunddreißig Holzflonze und dreißig wagemutige Wüs, daneben fünfzig Wörle, zehn Plastikniezen mit großen weißen Hüten und viel zu zarten Rippen, drei lange Sporne und sechzehnmal, mit glänzenden Ringen und erhabenem Kreuz, Henriette Hannelore von Hoffmansthal, holde Henriette, ach Henriette, ach Johanna, wenn du mich jetzt sehen könntest. S. 36

zu Putzen, Steuer und Post abzuwickeln, Geschenke einzupacken, seinen Vater anzurufen, mit dem Rauchen aufzuhören, sein Lebenswerk zu schaffen, Nudelsalat zu machen und ein Feuerwerk zu zaubern. Dass ihm die einzige übriggebliebene Nietze im Laufe des Tages noch ganz arg beistehen wird, weiß er jetzt noch nicht. 

Fazit: Nele Pollatschek hat einen hervorragenden Roman geschaffen. Ich habe so sehr gelacht, wie schon lange nicht mehr. Die Tragik ihres Protagonisten, der nichts auf die Reihe kriegt, sich aber verbiegt, um seinem Umfeld gerecht zu werden, ist urkomisch. Unglaublich, wie gut sie als Frau diesen Charakter hinbekommen hat, wie sehr sie sich in Lars hineinversetzt hat, so als hätte sie selbst einen Zuhause. Chapeau, das ist großes Kopfkino.

Die Autorin: Nele Pollatschek, 1988 in Berlin geboren, hat Englische Literatur und Philosophie in Heidelberg, Cambridge und Oxford studiert und wurde darin 2018 promoviert. Für ihren Debütroman Das Unglück anderer Leute (2016) erhielt sie den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis (2017) und den Grimmelshausen-Förderpreis (2019). Es folgte das Sachbuch Dear Oxbridge. Liebesbrief an England (2020). Nele Pollatschek schreibt für die Süddeutsche und erhielt 2022 den Deutschen Reporterpreis.

5/5

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