Autismus – Spektrum – Störung

Leben mit Neurodiversität im Erwachsenenalter. Ein Autismustagebuch

So bin ich

Ein großer Teil meines bewegten Lebens liegt hinter mir. Ich bin gerade fünfundfünzig Jahre geworden und habe eine Autobiografie geschrieben. Während ich meine Geschichte zu Papier gebracht habe, glaubte ich noch daran, dass viele meiner Probleme, sei es im zwischenmenschlichen Bereich, aber auch die Reizüberflutung, die mich regelmäßig wegspült, an einer Art Überempfindlichkeit liegt, die ich einfach hinnehmen muss. Heute weiß ich, was ich stets vermutet habe, dass ich mich von neurotypischen Menschen unterscheide und sehr speziell bin.

Ich lebe mittlerweile in einem Haus mitten im Wald, begleitet von zwei Hunden und meinem Mann. Vor vielen Jahren ist uns ein Kater zugelaufen und nicht mehr von der Seite gewichen. Eine riesige Vogelschar, die ich das ganze Jahr über füttere und die regelmäßig, aus ihren Winterquartieren zurückkommen, erfreut mich jedes Jahr im Mai mit Nachwuchs. Dann sausen uns die Bachstelzenjungen vom obersten Balkon um die Ohren. Selbstredend kann ich jede der Vogelarten benennen, weil ich sie in Büchern gesucht und gefunden habe. Jetzt im Frühjahr, sobald die ersten Sonnenstrahlen wärmen rutsche ich leidenschaftlich auf allen Vieren durch den Garten, entferne Laub, schneide zurück und pflanze neu, was die Mäuse mir genommen haben.

Meine Rituale sind mir heilig

Jetzt koste ich mein allabendliches Ritual aus und beobachte die schillernden Fische. Eine Weile habe ich sie bis zu zwanzig Mal gezählt, bis ich mindestens dreimal hintereinander auf die richtige Zahl kam. Mittlerweile sind es zu viele und ich habe es aufgegeben. Ich zähle aber weiterhin meine Schritte, Schwimmzüge, blühende Blumen und Handgriffe, das beruhigt mich, weil es meinen Kopf beschäftigt. Im letzten Jahr habe ich von März bis August jeden Montag – Freitag Mittag Feldsalat mit Keimen, 100 Gramm geräucherter Lachsforelle und „Schüttel mich Dressing“ aus der Pfalz gegessen. Am Wochenende gab es um 12 Uhr Schmierchen, meinem Mann zuliebe, der isst keinen Fisch. Mittlerweile versuche ich relativ erfolglos abzunehmen, daher trinke ich jeden Mittag Eyran, das Joghurtgetränk aus der Türkei.

Mein Tag beginnt gegen 6 Uhr 30 mit ausgiebigem Zähneputzen. Danach drei Schlückchen Kaffee, nicht mehr, wegen der Magensäure und dann füttere ich die Hunde. Ich räume die Spülmaschine ein und überlege jeden Tag aufs neue, wie ich den Sparmodus einstelle. Wenn ich daneben stehe geht es mir leichter von der Hand, wenn ich davor stehe muss ich ein wenig nachdenken. Die Arbeitsflächen wische ich ab und bringe Leergut in den Keller. Wir gehen eine Runde durch den Garten, ich fütter die Fische und sammel die gestrigen Hinterlassenschaften meiner zwei irischen Wolfshunde, Merlin und Moritz. Sobald wir zurück sind, schwimme ich 30 – 60 Minuten, je nachdem vieviel Zeit ich habe. So sieht mein 365/7 aus, danach beginnt mein Tag, den ich schon gestern im Kalender überflogen habe, um zu vermeuden, dass mich Überraschungen aus der Bahn werfen.

Neulich habe ich ein Buch über Autismus gelesen, das ich nicht hilfreich fand, weder für Betroffene, noch für ihre Angehörigen. Das brachte mich auf die Idee selbst etwas zum Thema beizutragen. Ich habe vor, eine Art öffentliches Tagebuch zu schreiben und über die Schwierigkeiten zu sprechen, die ich in meinem Alltag und in meinem Umgang mit Menschen habe. Vielleicht nimmt jemand Anteil, mag selbst in den Kommentaren etwas beitragen, oder Fragen stellen.

Habt Dank für eure Aufmerksamkeit.

MarieOn

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