Mein Leben mit Austismus

Autismustagebuch

Meine beste Hälfte und ich schleppten die Erfahrungen aus unseren Herkunftsfamilien und früheren Beziehungen in unsere Ehe. Wie den Rucksack vom letzten Urlaub, der seit drei Wochen im Flur steht. Man shaut hinein, riecht Unterwäsche und feuchte Socken. Der Reiseführer mit den Erinnerungskarten ist etwas zerfleddert, aber es ist schön, darin herumzublättern. Das halbe Baguette, das niemand mehr essen wollte, leuchtet in grün-grau, das Viertel in der Perrier Flasche ist still geworden.

Auf den ersten Blick scheint es von Vorteil, wenn beide Partner nach Harmonie streben. Nicht immer sagen, was sie denken, um Streit zu vermeiden. Jeder von uns hatte gelernt, dass er im Aufbegehren nicht liebenwert ist, also gingen wir Konflikten aus dem Weg. Ulf machte jeden Ärger mit sich selbst aus, grübelte und ging auf Abstand. Er hielt mir Informationen vor, über die ich mich möglicherweise geärgert hätte, und ich grollte ihm still, weil er mir nicht vertraute. Jede seiner Befindlichkeiten bezog ich auf mich und fühlte mich abgelehnt. Er redete tagelang nur das nötigste mit mir. In den Nächten drehte er mir den Rücken zu und knirschte mit den Zähnen.

Meine Selbstzweifel krochen aus den Tiefen meines Rückgrats empor und befeuerten mich mit uralten Schuldgefühlen. Ich lief im Garten auf und ab, suchte Schutz unter mächtigen Tannen und lauschte meinem inneren Kritiker, bis ich mich in Selbstmitleid auflöste. 

Seit einiger Zeit halte ich seine Bestrafungstaktik nur noch wenige Stunden aus und versuche, darüber  hinwegzusehen.  Sobald er den Zenit überschreitet, stapfe ich mit meinen roten Gummistiefeln durch den Garten, wie ein Nilpferd kurz vor dem Angriff.

Ulf kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, traumatisiert zu sein. Kam er lautlos von hinten, um seine Arme um mich zu legen, ging mein Bauchdeckenreflex in eine Abwehrspannung, wie bei einem Blindarmdurchbruch. Er warf mir vor, dass ich seine Nähe nicht mochte. 

Ich ertrug es nicht, wenn er mir über den Arm streichelte, während ich aß. Dann blinkte in meinem Kopf die Alarmstufe rot, mein Puls beschleunigte, Adrenalin flutete mich und ich hätte mich gerne in einem Tobsuchtsanfall ausgelebt. Stattdessen verharrte ich still, versuchte es auszuhalten und kochte innerlich. Mir war klar, dass er schwer verstehen konnte, welche Gefühle er in mir auslösen kann. 

Aber es ist mein Arm, der diese Zärtlichkeit in dem Moment wie Nadelstiche empfindet, mein Magen, der rebelliert und mein Körper, der mich zu Flucht oder Kampf mobilisiert. Jetzt sage ich ihm einfach: „Lass das!“ und zerfließe nicht in Mitgefühl, weil ich ihn zurückgewiesen habe. Er ist ein großer Junge und sollte damit klarkommen.

Aus meinem Buch Mutterkuchen

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