Mein Leben mit Autismus

Autismustagebuch

Selbstwert

Mein Selbstwert ist zerbrechlich. Ich hatte in sozialen Netzwerken ein Bild von mir präsentiert, das einem Wolpertinger glich. Witzig war ich und geistreich, moralisch einwandfrei, tolerant und unwiederstehlich. Die Menschen applaudierten mir. Ich fing an, mir selbst zu glauben, fühlte mich auserwählt, wie Jeanne d´Arc, als sie die Engländer aus Orléans vertrieb.

Doch dann kamen die Kaufleute namens Algorithmus und kratzten an meiner Hülle aus Eitelkeit. Die Fassade bröckelte, wie bei den erodierten Engelsstatuen auf Friedhöfen. Ich ließ mich zänkisch auf Wettstreitereien mit Menschen ein, die mich infrage stellten, und zeigte mein wahres Gesicht, bis meine Gewöhnlichkeit zum Vorschein kam und man das Interesse verlor.

Ich habe immer befürchtet, dass ich nach meiner Vergangenheit roch. Der Missbrauch und die Gewalt, wie Aas an mir haftete. Andere würden meine Herkunft kilometerweit wittern. Ich durfte das nicht raushängen lassen, wollte mich mit einer Aura umgeben, die in Regenbogenfarben leuchtete. Aufrechter Gang, Selbstsicherheit, Unfehlbarkeit, kurz, ein tadelloses Auftreten.

Aus meinem Buch Mutterkuchen

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