Rezensionen Iglhaut

Iglhaut von Katharina Adler

Autorin: Katharina Adler, Genre: Fiktion, Gegenwartsliteratur, Verlag: Rowohlt, ISBN: 978-3-499-00695-1, 1. Taschenbuchauflage 2024, 280 Seiten, Preis Taschenbuch €14,00

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«Selten bin ich dem Charme einer Romanfigur so verfallen.»
Denis Scheck, ARD druckfrisch
Sie hat eine Vorliebe für Whiskey-Cocktails und alte Sozialdemokratinnen, hat schlechte Backenzähne, Geldprobleme und ein Talent für den Umgang mit Holz: Iglhaut, die im Hinterhof eines Mietshauses ihre Schreinerwerkstatt unterhält. Die freiheitsliebende Iglhaut, die sich immer wieder – ohne eigenes Zutun und definitiv gegen ihren Willen – in nachbarschaftliche Angelegenheiten verstrickt.
Katharina Adlers Iglhaut ist eine Heldin nach Art alter Götter. Aus dem Holz für verlässliche Beziehungen ist sie nicht gemacht, weder in der Liebe noch im Geschäft. Auch ihre Laune: so wandelbar wie das Wetter. Dabei will sie eigentlich nur ihre Ruhe, Ruhe für sich, die Hündin und ihre Arbeit. Doch dann steht da plötzlich eine alte, komplizierte Liebe, drängen immer mehr Anwohner und ihre Geschichten – cholerisch, komisch, ungebeten – in diesen zutiefst menschlichen Roman. Einen Roman, der das Leben feiert, ohne die Augen zu verschließen vor dem, was ist. (Klappentext)

Iglhaut muss nach Ägypten, das zumindest meint Valeria, zweiter Stock links. Uli, zweiter Stock rechts, hat einen Kreutzworträtselwettbewerb gewonnen. Die Iglhaut möchte nirgendwo hin, schon gar nicht mit Uli. Dank Valerias „Ich meine es doch nur gut mit dir“, munkelt die ganze Nachbarschaft hinter vorgehaltener Hand, dass die Iglhaut und der Uli jetzt ein Paar sind. Doch dann sagt Uli kurzerhand ab, starke Erkältung und die Iglhaut fliegt allein. Die Kanzlerin (Promenadenmischung) parkt sie bei ihrem Vater und schon gehts los.

Der erste Whiskey an der Hotelbar gehört ihr und bringt unerwartet noch einen älteren Herrn mit sich, der ihr Großvater sein könnte. 

Es dauerte nicht lange, da bot er an, „die paar Jahre“, die sie beide trennten, auf seinem Hotelzimmer vollends vergessen zu machen. S. 19

Die Iglhaut ziemlich wehrhaft, hatte versucht ihn mit einem Handgriff in eine kurze Amnesie zu befördern, aber danach wich der Großvater erst recht nicht mehr von ihrer Seite. Dass er ihr später Dickpics schicken wird, die sie in eine mehr als peinliche Situation mit ihrer Mutter bringen wird, ahnt sie an dieser Stelle noch nicht. 

An dem Geburtstag ihrer Mutter fährt die Iglhaut zu ihr. Die Mutter versucht eine gute Flasche Rotwein zu entkorken und schneidet sich in den Finger, der nach mehreren Versuchen des blutstillenden Bandagierens signalisiert, er müsse doch genäht werden. Die Ärztin in der Notaufnahme liest in Mutters Krankenakte, dass sie Trägerin einer Spenderniere ist.

Die Mutter holte aus, sie prahlte, sie sprach in einer Weise von ihrer idealen Tochter- die Iglhaut wollte sich am liebsten sofort verkriechen. Eine Tochter, die nicht gezögert hätte, die ganz nach der Mutter kam und vom Vater zum Glück nur die kurzen Beine, nicht aber seinen Kleingeist geerbt hatte. S. 75

Fazit: Selte eine so amüsante, leichtfüßige und dennoch tiefsinnige Geschichte gelesen. Tatsächlich eine Geschichte, wie sie nur das Leben schreiben kann. Die Autorin hat einen wunderbaren Sinn für Humor, der nichts ins Lächerliche zieht, sondern einfach unterstreicht, und das Lesen auch schwererer Kost leicht macht. Die Protagonistin ist gut gelungen. Burschikos, launisch, authentisch. Kein typisches Frauenbild, dem man selbst entsprechen möchte, wie entspannend. Zugleich hat sie einen schönen Charakter, weil sie empathisch und hilfreich ist, ganz besonders zu den Menschen, die sie mag und davon gibt es einige. Eine nihilistische Menschenfreundin. Widersprüchlich? Lesenswert!

Die Autorin: Katharina Adler wurde 1980 in München geboren, wo sie nach Stationen in Leipzig und Berlin heute wieder lebt. Mit ihrem viel beachteten Debüt, «Ida», war sie unter anderem für den Alfred-Döblin-Preis, den Klaus-Michael Kühne-Preis und den ZDF-aspekte-Literaturpreis nominiert. 2019 wurde sie mit dem Bayerischen Kunstförderpreis, 2020 mit dem Premio Letterario Adei-Wizo ausgezeichnet. «Iglhaut» (2022) ist ihr zweiter Roman.

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